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Der Tagesspiegel – 6. Juli 1988

Der Tagesspiegel, 1988

MANN OHNE GEHEIMNISSE

von Harald Martenstein

Fotos von Helmut Newton in der Berlinischen Galerie
Man sieht Stars, die auf der Kante eines ungemachten Bettes sitzen; sie wirken ein wenig ratlos dabei.
Zu jedem dieser Betten-Bilder hat Newton ein zweites Foto gestellt, auf dem die Hand des Porträtierten eine Schublade aufzieht und den Blick auf deren Inneres freigibt, allerlei persönliche Habseligkeiten.
Gerade bei diesem Versuch des Fotografen, das Defizit seiner Arbeiten auszugleichen, wird Newtons Problem überdeutlich: Schubladenguckerei soll den Eindruck von Intimität herbeizaubern.
Aber wer von Newton porträtiert wird, gibt nichts Intimes preis, mag sie auch ihre frische Operationsnarbe vorzeigen (was June Newton tut) oder er den Inhalt seiner Nachttischschublade. Newton geht den Lieblingsposen seiner Kunden auf den Leim.
Gottfried Helnwein, ein anderer Forschungsreisender im Reich der Trivialmythen, der seinen gemalten Porträts lange Fotositzungen vorangehen läßt, hat Mick Jagger als selbstgefällige Rockruine gezeigt, Clint Eastwood als Karikatur eines Macho, österreichische Spießer als gemütliche Ungeheuer.
Helnweins Bilder sind oft erst auf den zweiten Blick als Bosheiten, zu erkennen, deshalb findet er immer wieder Leute, die sich von ihm malen lassen.
Newtons Fotos aber haben keine Geheimnisse. Sie sagen: Das, was wir immer schon wußten, ist die ganze Wahrheit. Aber das ist gelogen.
Deshalb ist es so schön, von Helmut Newton fotografiert zu werden.

Es muß schön sein, von Helmut Newton fotografiert zu werden. Newton, 1920 in Berlin geboren und einer der erfolgreichsten Fotografen des Jahrhunderts, hat sie alle vor seine Kamera bekommen: Billy Wilder, Caroline von Monaco, Jack Nicholson, Pina Bausch und viele namenlose Modelle, manche bekleidet und andere nicht. Eine Auswahl dieser Porträts ist jetzt im Gropius-Bau zu sehen.

Newton fotografiert Menschen, aber sein eigentliches Interesse gilt Körpern: eine Architektur aus Haut und Muskeln, aufgenommen häufig von halbunten. Man hat ihm gelegentlich Sexismus vorgeworfen, weil er Frauen als "Objekte" zeige. Wenn Newton - selten - nackte Männer fotografiert, hat er allerdings den gleichen Blick, aber nicht nur deshalb ist der Vorwurf falsch. Die von Newton aufgenommenen Frauen schauen zu kühn und zu bewußt in die Kamera, um Objekt zu sein. Sie zeigen ihren Körper nicht, um Lust zu wecken oder Unterwerfung zu signalisieren. Sie zeigen ihn wie eine Waffe, die ihren Gegner nicht kennt. Ich bin nackt, sagen die Körper, und keine Silbe mehr. Manchmal findet eine eisige Umarmung statt. Wir umarmen uns, sagen die beiden Körper dann, aber das macht uns nichts aus. Newton ist kein erotischer Fotograf. Auf etwas so Riskantes wie Leidenschaft läßt er sich nicht ein.

Wenn der schwedische Schauspieler Dolph Lundgren und die schwarze Sängerin Grace Jones ihre durchtrainierten Leiber aneinanderschmiegen, dann begegnen sich ein arischer Ritter und eine nubische Kriegerin. Newton, der 1938 vor den Nazis geflohen ist, fotografiert manchmal wie Leni Riefenstahl.

Je nackter die Porträtierten sind, desto unnahbarer, desto statuenhafter werden sie. Die Haut ist ein schickes Abendkleid. Newton ist ein Modefotograf, der auch ohne Kleider auskommt.

Gesten, Gesichter: John Huston pokert, Helmut Berger schaut in den Spiegel, Isabelle Huppert entblößt eine Schulter. Immer wirken diese Bilder wie Auftragsarbeiten. Der Auftrag lautet: bilde meinen Mythos ab. John Huston, der Unverwüstliche, David Bowie, der reife Narziß, Nastassja Kinski, die Kindfrau, die einer Marlene-Dietrich-Puppe die Brust bietet. Einige Farbaufnahmen wollen dieses Schema durchbrechen: Man sieht Stars, die auf der Kante eines ungemachten Bettes sitzen; sie wirken ein wenig ratlos dabei. Zu jedem dieser Betten-Bilder hat Newton ein zweites Foto gestellt, auf dem die Hand des Porträtierten eine Schublade aufzieht und den Blick auf deren Inneres freigibt, allerlei persönliche Habseligkeiten. Gerade bei diesem Versuch des Fotografen, das Defizit seiner Arbeiten auszugleichen, wird Newtons Problem überdeutlich: Schubladenguckerei soll den Eindruck von Intimität herbeizaubern. Aber wer von Newton porträtiert wird, gibt nichts Intimes preis, mag sie auch ihre frische Operationsnarbe vorzeigen (was June Newton tut) oder er den Inhalt seiner Nachttischschublade. Newton geht den Lieblingsposen seiner Kunden auf den Leim.

Gottfried Helnwein, ein anderer Forschungsreisender im Reich der Trivialmythen, der seinen gemalten Porträts lange Fotositzungen vorangehen läßt, hat Mick Jagger als selbstgefällige Rockruine gezeigt, Clint Eastwood Karikatur eines Macho, österreichische Spießer als gemütliche Ungeheuer. Helnweins Bilder sind oft erst auf den zweiten Blick als Bosheiten, zu erkennen, deshalb findet er immer wieder Leute, die sich von ihm malen lassen. Newtons Fotos aber haben keine Geheimnisse. Sie sagen: Das, was wir immer schon wußten, ist die ganze Wahrheit. Aber das ist gelogen. Deshalb ist es so schön, von Helmut Newton fotografiert zu werden.

06.Jul.1988 Der Tagesspiegel Harald Martenstein