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Die Zeit – 19. Februar 1988

"Macbeth", Stadttheater Heidelberg, 1988

DIE KIELER AFFÄRE - IN MÖRDERISCHEN TÄNZEN

von Rolf Michaelis

Choreographisches Theater in Heidelberg. "Macbeth" von Johann Kresnik und Gottfried Helnwein
Doch gelingt es Kresnik und Helnwein uns mit einer grausigen Mord-Ballade zu fesseln, die mit höhnischem Gelächter vor unseren Augen vorbeirast - wobei der schon dem Tod geweihte neue Herrscher statt der Krone eine zwar goldene, aber noch Narren-Kappe wie eine Tiara trägt.
Sieger, so die Botschaft, gibt es im tödlich närrischen Kampf um die Macht nicht.
Sieger in Heidelberg sind, in einer glanzvoll wüsten Inszenierung: Gottfried Helnwein, Johann Kresnik und das mitreißend auftrumpfende Ensemble von siebzehn Tänzerinnen und Tänzern.

Der Tod kommt in der Badewanne. Den vom Tanz um die Macht erschöpften politischen Übeltäter geleitet ein zum Gegner gewordener Mitstreiter in den Baderaum von klinisch reinem Weiß. Macduff tupft dem ans Ende seiner machtgeilen Karriere angekommenen Macbeth fürsorglich den Schweiß von Brust und Stirn. Dann wickelt er ihm das weiße Tuch ums rechte Handgelenk und legt den todesmatten Karrieremacher in die Wanne. Der Vorhang schließt sich wie eine Blende im Photo-Apparat: Von oben, von rechts, von links schieben sich dunkle Wände vor die Szene, bis wir in Ausschnitt das berüchtigte Bild vom Toten in der Badewanne erkennen.

So endet nach hundert pausenlosen Minuten im Theater der Stadt Heidelberg das neue Stück -"Macbeth" - von Johann Kresnik für sein "Choreographisches Theater". Es ist in Tanzwut, Präzision und Einfallskraft wohl das beste der Tanzdramen, die Kresnik - mit kritischem Blick auf die Familienverhältnisse seiner Titelhelden - in den letzten Jahren geschaffen hat ("Sylvia Plath", "Pasolini", "Mörder Woyzeck").

Die andere, die "öffentliche" Seite familiärer Dramen - die politische - ist in gleichnishaft archetypischer Kraft noch nie so kraftvoll, ja brutal hervorgetreten. Dies ist nicht zuletzt dem durch seine Bilder in photographischem Realismus, vor allem durch seine an Folter-Aufnahmen erinnernder Selbstbildnisse bekannt gewordenen Wiener Maler und Graphiker Gottfried Helnwein zu danken. Helnweins erste Arbeit für das Theater prägt diesen "Macbeth" und hat ganz offensichtlich den Choreographen zu neuen, kühnen Tänzen angeregt. Ja, aber darf man das, mit einem bereits historischen Bild wie dem toten Politiker in der Badewanne auf dem Theater "spielen"? Diese Frage wird laut im unterdrückten, entsetzten Stöhnen, als die Besucher erkennen, welcher Aufruf zum Nachdenken ihnen in den letzten Minuten eines scheinbar in Shakespeare-Ferne angesiedelten Polit-Dramas mitgegeben wird.

Kresnik und Helnwein "spielen" nicht mit einer gerade aktuellen Bild-Assoziation. Für ihr Drama vom Kampf um die Macht, das sich in mörderischen Tänzen entfaltet, ist der Schluss überraschend sanft, nicht ohne Zärtlichkeit. Wie blickt Shakespeare auf das Ende seines Helden? "Macduff kommt mit Macbeth Kopf auf einer Stange."

Wenn man erlebt, wie der kindlich arglose Macbeth (Joachim Siska) von den politischen Ziehvätern, von der eigenen Frau, von den drei Hexen (die für die Verführbarkeit durch jede Art von "Medien" verstanden werden können) erst zu skrupellosen Parvenü der Politik erzogen wird, kann man den Hinweis auf die Hauptfigur der Kieler Affäre nicht bösartig finden. Dass die Heidelberger bei ihrer Spiel-Tradition, "Macbeth" als politisches Lehrstück, als Tanz-Drama im Dienst der Aufklärung verstanden wissen wollen, mag ihnen erlauben, ein wenige Monate altes Illustrierten-Photo endgültig in die Ikonegraphie des Jahrhunderts zu überführen.

Mit der gleichen Schroffheit, mit der Heiner Müller 1972 "Macbeth" in seiner überarbeiteten Übersetzung reduziert auf eine unhistorische "Geschichte im Stillstand" ("Die Welt hat keinen Ausweg zum Schinder") zwängen Kresnik/Helnwein die rauhe Mär aus schottischer Frühzeit in die gleißende Leichenhalle einer modernen Klinik. Im Orchestergraben schwappt ein Blutsee, in dem Gekröse dümpelt. Mit ohrenbetäubendem Dröhnen öffnet sich ein riesiges Metalltor im Hintergrund der Bühne. Ein hinter der Gelehrten-Brille scheu lächelnder, dunkelhäutiger Gottesmann im Gewand eines katholischen Priesters schleppt einen Eimer oder schiebt gleich eine Wanne voll Blut und Innereien über die Bühne und kippt alles platschend in die Nass-Deponie vor der Szene.

[Macbeth]
Auf der Bühne stehen zu Beginn zwölf Badewannen, in denen bandagierte Mordopfer auf Leichenschau oder Organverwertung warten. Rührend klein und schwarz steht neben jedem Wannen-Sarg ein Reisekoffer.
So zielt die Inszenierung von Anfang an aus mythischer Urzeit in eine Gegenwart, in der Wissenschaft und Kirche sich zu Handlangern der Machthaber erniedrigt haben. Die aber verfolgen ihre Dissidenten, die ihre ganze Habe in einer Reisetasche mit sich schleppen können, bis in den Tod. Wenn wieder ein lebendes oder schon gekilltes Opfer durch die Höllen-Tür ins Dunkel gezerrt wird, beginnt bald die Blutpumpe zu brummen:
Durch die Plastikschläuche, die über der weißen Lack-Folie der Leichenhalle verlegt sind, plätschert rot nicht zu verwertender Lebenssaft in die Abfallwanne.
Als ob sie von der mörderischen Wirklichkeit nichts wüssten, schlummern die Freunde Macbeth und Banquo (Maverick Quek) in paradiesischer Nacktheit nebeneinander - bis die drei Hexen sie aufgeilen mit Bildern von Ruhm, Erfolg, Macht. Amy Coleman, Regine Fritschi, Kate Antrobus sind in runen-geschmückten Militär-Jacken und Käppis, mit schwarzen Strapsen und Dessous Verführerinnen - halb Blitzmädel, halb Vamp, mit einem Pesthauch von Walküren .Sie betten Macbeth an riesenhafte Euter von Brüsten, aus denen der künftige Schlächter auf dem Thron schmatzend Blut saugt.

Der sanftmütige König Duncan ( unter Goldschminke grinsend: Harald Beutelstahl) erzieht sich in homo-erotischem pas de deux, in dem scharfe Dolche nackte Haut streicheln, seinen Mörder. Eine verbitterte Lady, die Mutter dieses Kind-Königs sein könnte (virtuose Charakter-Tänzerin: Susanna Ibanez) macht sich das Unschuldslamm Macbeth hörig. Sie lässt sich von dem auf allen Vieren gehenden Jungen tragen oder nimmt ihn unter ihre weiten Röcke zu wild grotesken Balztänzen, bei denen der Mann gar nicht zu sehen ist.

Gespenstisch in dieser Mordballade in der Nähe des Grand Guignol: die Ermordung von Frau und Kinderschar des politischen Gegners Macduff. Wie Zwerge toben die Kinder unter einem vier Meter hohen Tisch, spielen Verstecken in der fassgroßen Tasse, in der Zwanzig-Liter-Kaffeekanne, klettern auf den wie ein Sprungturm ragenden Stuhl. Lächelnd schaut nicht nur die blonde Mutter zu, sondern das "Pfleger"-Team von drei Männern in weißen Mänteln, die scharfen Zangen riesiger Steigeisen an den Füßen: freundlich brutale Ärzte. Die fallen, wie spielerisch, über Frau und Kinder her: vergewaltigen, ertränken in der Kaffeetasse, erschlagen mit dem Löffel, zertrampeln mit eisenbewährten Füssen die Kleinen, die sich in der Tischschublade retten konnten.

Birnams Wald senkt sich als riesiger Raketenzaun aus stahlgrauen Pfählen über den einfältig einhermarschierenden Macbeth, den die Hexen in Knobelbecher gesteckt haben, in denen das zum Mörder gewordene Muttersöhnchen fast versinkt. In dem stampfenden Marsch-Rhythmus dieses Toten-Trampels befreit sich, wie zuvor schon in den taumelnden Walzern der Hexen, Kurt Schwertsiks (bewußt) monoton klingende Schlagwerk-Musik, die Hildegard Kleeb und Adrian Oetiker mit Händen und Stäben an dem Flügel im Orchestergraben neben dem Blutgekröse erzeugen, zu Ansätzen von Melodie, die in der Art von Eric Satie endlos variiert werden.

Was hätten wir verstanden, wenn auf dem Programmzettel nicht "Macbeth" stünde?
Viele Verwandlungen Shakespearescher Szenen und Bilder wären noch rätselhafter. Doch gelingt es Kresnik und Helnwein uns mit einer grausigen Mord-Ballade zu fesseln, die mit höhnischem Gelächter vor unseren Augen vorbeirast - wobei der schon dem Tod geweihte neue Herrscher statt der Krone eine zwar goldene, aber noch Narren-Kappe wie eine Tiara trägt. Sieger, so die Botschaft, gibt es im tödlich närrischen Kampf um die Macht nicht.

Sieger in Heidelberg sind, in einer glanzvoll wüsten Inszenierung: Gottfried Helnwein, Johann Kresnik und das mitreißend auftrumpfende Ensemble von siebzehn Tänzerinnen und Tänzern.

Gottfried Helnwein, Stage and Costumes for "Macbeth" by Hans Kresnik, 1988
19.Feb.1988 Die Zeit Rolf Michaelis