helnwein archiv

Frankfurter Rundschau – 12. Juni 1982

Monographie,Orac-Pietsch Verlag, Wien, 1982

HELNWEIN

von Thomas Rothschild

Mit kaum einem anderen Wort wird so viel Schindluder getrieben, wie mt dem Begriff Realismus. Dass, was als realistisch bezeichnet wird, nur selten mit mit einer intersubjektiv überprüfbaren Wirklichkeit zu tun hat, ist mittlerweile eine triviale Erkenntnis.
Wir wissen zum Beispiel aus dem "sozialistischen Realismus", dass ständig bestimmte stilistische Verfahren mit inhaltlichen Kriterien vermengt und verwechselt wurde.
Auch realistische Kunst inszeniert, und was sie da aufbereitet, und wie sie es tut, das sagt mehr aus über das Verhältnis des Künstlers zur Realität als über diese Realität selbst.

Wenn etwa Feministinnen in einer merkwürdigen Abwandung des sozialistischen Realismus, die man einen feministischen Realismus nennen könnte, erzürnt gegen Kunstwerke wettern, die Frauen als das verunstaltete Produkt einer brutalen patriarchalischen Gesellschaft zeigt, das sie sind, und statt dessen die Darstellung von emanzipierten Heroinnen fordern, die sie sich für eine ferne Zukunft wünschen, die aber kaum noch existieren, so kann, willfährt man ihrem Postulat, nur ein beschönigender Pseudorealismus herauskommen, ein Phänomen, das man in der Sowjetunion spöttisch "lakirovka" nannte.

Auch Gottfried Helnwein aus Wien inszeniert.
Doch er lackiert nicht, sondern er entstellt.
Er kleistert die Oberfläche nicht zu, sondern fördert zutage, was es unter dieser Oberfläche an Verquältem und Bösartigem, an Leiden und an Agression, an Verdrängungen und an Phantasmen gibt.
Die suggestive Faszination seiner Bilder resultiert aus dem Zusammenprall von detailversessener Ausführung, von nur scheinbar photorealistischem Strich mit dem Arrangement von Abgründigem, das sich hinter Körperhaltungen und häufiger noch hinter der Mimik des Gesichts verbirgt.
Wer Helnweins zuweilen surrealistische Kompositionen für sadistisch hält, sitzt dem ewigen und eigentlich längst langweilenden Irrtum auf, dass der Künstler sich mit dem Dargestellten identifiziere, der Verwechselt Denunziation von Grausamkeit mit dieser Grausamkeit selbst.

Offenbar erträgt der Betrachter die humoristische Verzerrung der Karikatur leichter als die groteske verzerrung des genau gezeichneten Gesichts. Offenbar erträgt er die permanente Aggressivität des bewegten (Frenseh-) Bildes eher als den erstarrten Augenblick, den Helnwein in seinen Studien unbarmherzig festhält. Helnweins Bilder erzählen aus einem Moment heraus Geschichten.

Helnwein hat unter anderem Edgar Allan Poe illiustriert, und es ist whol diese Nähe zur Literatur, die Leute wie H.C. Artmann, Wolfgang Bauer und Barbara Frischmuth veranlaßten, sich von Helnweins Bildern zu Texten anregen zu lassen. Man findet diese zusammen mit zahlreichen, zu einem großen Teil farbigen Abbildungen in dem prachtvollen Band: Gottfried Helnwein, Orac-Pietsch, Wien, 1981, 303 S, 56,-DM.

Gottfried Helnwein, Monographie,Orac-Pietsch Verlag, Wien
12.Jun.1982 Frankfurter Rundschau Thomas Rothschild