helnwein archiv

Neue Kronen Zeitung, Wien – 7. Oktober 1975

Galerie Brandstätter, Wien, 1975

VOM HORRORTRIP ZUM SEELENTRIP

von Erwin Melchart.

Galerie Brandstätter:
Gottfried-Helnwein-Zeichnungen

Von Gottfried Helnwein hat man im Wiener Ausstellungsreigen länger nichts gesehen. Er hat die Zeit und die damit verbundenen Erfahrungen genützt. Er hat sich verändert.

Von Gottfried Helnwein hat man im Wiener Ausstellungsreigen länger nichts gesehen. Er hat die Zeit und die damit verbundenen Erfahrungen genützt. Er hat sich verändert.

Gottfried Helnwein, 27 und Hausner-Schüler, hat offenbar rechtzeitig erkannt, daß die gnadenloße Maschinerie des Kunstbusineß bereits drauf und dran war, ihn selbst in einen rasch aufflammenden Strohfeuer des Erfolges zu verheizen und seine Arbeiten unter der wohlfeilen Markenbezeichnung "Schocker" je nach Bedarf zum wirksamen visuellen Reiz zu verwenden. Denn Helnwein konnte wohl wie kein zweiter aus der jüngeren Malergarde ein süßes Kinderpüppchengesicht mit einer kleinen scharfen Narbe in kribbelige Betrachtergänsehaut verwandeln.

Auch seine, mit höchster nauralistischer Akribie wie beängstigenden chirurgischen Korrekturen gemalten Porträts machten ihn zum Gruselspezialisten der Wiener Malerei, zum Boris Karloff des Pinsels.

Doch der oberflächliche und vordergründige Alltagsschrecken von Narbe, Pflaster und Verband nützt sich rasch ab. Von Graf Dracula erwartet man, daß er schöne Jungfern in den Hals beißt und ihr Blut trinkt - das hat Helnwein erkannt: seine neuen, sensiblen Zeichnungen (in der Galerie Brandstätter, Wickenburggasse 26) sind keine vordergründigen Gruselschocker.

"Ich bin im großen meiner Thematik treu geblieben," weiß Helnwein, "immer noch beschäftige ich mich mit Problemen der Psychiatrie, der Pädagogik, mit sozialen Zwängen, mit den Korrekturen, den Regulierungen, die unsere Gesellschaft am einzelnen durchführt, und mit psychischem Terror." In den vierzig gezeigten Blättern gelingt es Helnwein, die Gefahr der abgestempelten Geisterbahnmalerei zu überwinden. Mit locker gelöstem Strich symbolisiert er in aggressiven Aktionen, in Fallgruben, an Korrekturen und körperlich-seelischen Verkrampfungen seine Thematik, schafft aber durch den freieren, skizzenhaft hintergründigen Stil die nötige Distanz. Vom plakativen Horrorschock zum Psychostriptease zwischenmenschlicher Beziehungen.

Gottfried Helnwein Zeichnungen, Galerie, Wien
Neue Kronen Zeitung, Erwin Melchart.