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Profil, Wien – 25. August 2003

Interview, Herbert Lackner spricht mit Gottfried Helnwein

ICH KOMME SICHER NICHT ZURÜCK.

von Herbert Lackner

Österreich-Gespräch.Maler Gottfried Helnwein über die Vorzüge der katholischen Vergangenheit von Österreich und den Unterhaltungswert der Politik.

"Meine Arbeit hat immer polarisiert. Ich habe immer Leute gehabt, die begeistert und fasziniert waren und ich habe immer Leute gehabt, die mich gehasst haben.
Als ich noch in Wien war und ein Kritiker, der ein Leben lang eine Menge schlechter Bilder ohne Probleme ausgehalten hat, bei mir aber wirklich ausgerastet ist, Schaum vor dem Mund hatte, und fast einen Herzinfarkt gekriegt hat, dachte ich
mir: Siehst du, irgendeine Intensität muss dein Werk haben.
Bei meiner ersten Ausstellung im Wiener Künstlerhaus sind meine Bilder sogar mit Klebern überpickt worden auf denen stand "Entartete Kunst".

Interview, Herbert Lackner spricht mit Gottfried Helnwein

profil:
Herr Helnwein, Sie sind zuerst aus Wien nach Deutschland übersiedelt,
jetzt leben Sie hier in Irland und in Los Angeles.
Ist es Zufall, dass Sie sich schrittweise immer weiter von Österreich entfernen?

Helnwein:
Ich bin einfach ein unruhiger Mensch. Ich kann schwer sesshaft werden.
In Wien hatte ich nie ein Heimatgefühl, obwohl ich da geboren bin. Die 50er und 60er Jahre waren ja auch eine schreckliche Zeit. Ich wollte wie viele Künstler immer weg.
Die Wenigsten schaffen es, weil Wien eine eigene Gravitation hat.

profil:
In den ersten Nachkriegsjahrzehnte war Wien wirklich ein wenig düster, aber immerhin hat profil schon 1973 Helnwein-Zeichnungen am Cover veröffentlicht, die sich der "Spiegel" nicht zu zeigen getraut hätte.

Helnwein:
Das stimmt. Österreich hat viele Qualitäten, aber es fällt mir viel leichter diese Qualitäten aus der Distanz zu erkennen. Wien ist eine der seltsamsten und faszinierendsten Städte der Welt, auch eine sehr theatralische Stadt. Eine Stadt, in der Politik, Kultur und Medien stark vermischt sind, wo immer noch hellste Aufregung über einen Dichter oder Theaterdirektor herrschen kann.
Ich erinnere mich immer noch gerne daran, wie sich in den 70er Jahren Arnulf Rainer und Alfred Hrdlicka per Leserbriefen im profil geohrfeigt und gedemütigt und dann auch noch dem Adolf Frohner eine drübergebraten haben. Es war eine richtige Watschenorgie.
Das alles ist ein Teil von Wien, das sind unglaubliche Qualitäten.

profil:
In Österreich hätten Sie nicht 3.500 Protestschreiben wegen einer Zeichnung mit einem nackten General bekommen, wie in der Schweiz.

Helnwein:
Richtig. Österreich hat durch seine katholische Vergangenheit mit diesem Inferno an Bildern und Skulpturen in den Kirchen der Gegenreformation eine große Toleranz gegenüber Bildern.
In Deutschland und anderen protestantischen Ländern herrscht viel größere Bilderfeindlichkeit.

profil:
Sie wollten kürzlich in Los Angeles Marilyn Manson als Micky Mouse darstellen, was dem Musikkonzern nicht gefiel, weil das die amerikanische Ikone Micky beleidigt hätte. Ist das die Freiheit?

Helnwein:
Nein, in Amerika herrscht durch die unsägliche puritanische Tradition ein richtiger Bilderhass. Das ist ja das Land wo immer noch Schallplattencover verbrannt werden. Das ist die protestantisch-calvinistische Ethik und die ist extrem. Das schlimmste ist die Selbstzensur, weil man einfach Angst hat, von anderen zensiert zu werden.

profil:
Sie haben im Juni in der "Süddeutschen Zeitung" gesagt: "In Los Angeles zeigt sich der letzte Stand der Entwicklung: Kunst hat keinen Wert mehr, es gibt nur noch Entertainment."
Wieso arbeiten Sie dann dort?

Helnwein:
Gerade deshalb. Los Angeles ist eine faszinierende Stadt für einen Künstler, weil sie der äußerste Punkt ist im Prozess des Untergangs des Abendlandes. Wenn man wissen will, wo Europa in ein paar Jahren sein wird - in Los Angeles ist es schon soweit.
Es geht nur noch um Profit. Es kümmert sich niemand um den anderen. Es sei denn, die Interessen der herrschenden multinationalen Konzerne werden berührt. Das sind die Grenzen.

profil:
Wer den Irak-Krieg kritisiert, wird boykottiert.

Helnwein:
Richtig. Sean Penn, den ich sehr gut kenne, ist einer der wenigen, die sich offen dagegen ausgesprochen haben. Er hat auch einen offenen Brief an Präsident Bush geschrieben - in sehr respektvollem Ton, wie ich finde. Dennoch sind alle Verträge, die er für die nächsten Filme abgeschlossen hat, aufgekündigt worden.

profil:
Ihr Postulat, Künstler hätten stets Gegenspieler der bürgerlichen Gesellschaft zu sein, mündet so im Existenzverlust.

Helnwein:
Künstler waren immer gefährdet. Das Leben von Künstlern im vergangenen Jahrhundert endete unverhältnismäßig oft im Exil. Oder in Amerika vor dem Mc Carthy-Ausschuss und in Russland in den Gulags.

profil:
Sie haben sich gegen die Nachrüstung eingesetzt, für die Ökologie, gegen die Neonazis.
Sind Sie ein Rot-grüner?

Helnwein:
Ich war immer interessiert an Politik und Geschichte, aber ich habe gelernt, mich aus Tages- und Parteipolitik völlig raus zuhalten. Für mich war immer die Kunst die Waffe um zurückzuschlagen. Meine Bilder sind eine Antwort auf das, was mich geärgert oder verwirrt hat.

profil:
Haben Sie deshalb immer die Nähe der Massen gesucht und die Galerien eher gemieden?

Helnwein:
Ich habe ähnlich wie mein Freund Manfred Deix und andere aus meiner Generation gefühlt. Was uns fasziniert hat, war die Trivialkunst aus Amerika, die Donald Duck-Comics von Carl Barks.
Es war wie ein Kulturschock für mich, als ich das erste Micky Mouse-Heft aufgemacht hab. Ich habe das erste mal eine Welt betreten, die aus Farben bestand, die dreidimensional war. Vorher war mein Leben ein schlechter Schwarz-Weiß-Film in Zeitlupe.
Als ich Elvis zum ersten mal auf einem Kaugummibildchen gesehen habe, wusste ich nicht wer das ist, da ich aber nur die gedrungenen, dicklichen, verschwitzten Wiener der Nachkriegszeit kannte, war das ein Schock für mich: ich wusste nicht, dass ein Mensch so schön sein konnte. Ich habe gedacht, das ist ein Engel aus einer anderen Welt. Erst sehr viel später habe ich seine Musik gehört.
Ich habe immer Kunst abgelehnt, die so elitär ist, dass sich in ihr nur Experten an Experten wenden.

profil:
Dabei haben Sie sich auf dünnes Eis begeben. Ich erinnere an Ihre "Kronen Zeitungs"-Cover Ende der 70er-Jahre mit Bildern von Hans Krankl und Peter Alexander in einem Hauch von Zuckerlrosa.

Helnwein:
Ich wollte sehen wie weit man gehen kann. Es war eine Art Selbstverbrennung: Ich wollte für die Szene gestorben sein, alle Regeln übertreten und die Todsünde begehen. Ich habe das der "Krone" selbst vorgeschlagen: Den Krankl, den Alexander und ein Weihnachtsengerl. Der Chefredakteur Dragon war am Anfang etwas verschreckt und hat gesagt: "Ich schätze Ihr satirisches Talent, aber ich glaube, da liegen Sie bei der Kronen Zeitung falsch." Ich habe gesagt, keine Angst, das wird ein schöner Peter Alexander.
Die Redaktion ist dann eine halbe Stunde gesessen wie über einem Suchbild und hat gerätselt: Wo legt er uns? Sie haben nichts gefunden.

profil:
Dennoch sind Sie jetzt ein Teil dieser Kunstszene, von der sich sich abnabeln wollten.

Helnwein:
Auch wenn ich meine Arbeiten jetzt im Museum zeige, was immer ich mache, mache ich für das Publikum da draußen. Kandinsky sagte: Du brauchst für das Kunstwerk jemanden der es macht und jemand anderen, der es sieht. Das einzige objektive Hindernis beim Kunsterlebnis ist der Kritiker, die dritte Partei, die sich dazwischenstellt und interpretiert. Das brauchst du nicht. Das sehe ich auch so.

profil:
Haben Sie schlechte Erfahrungen mit Kritikern gemacht?

Helnwein:
Meine Arbeit hat immer polarisiert. Ich habe immer Leute gehabt, die begeistert und fasziniert waren und ich habe immer Leute gehabt, die mich gehasst haben.
Als ich noch in Wien war und ein Kritiker, der ein Leben lang eine Menge schlechter Bilder ohne Probleme ausgehalten hat, bei mir aber wirklich ausgerastet ist, Schaum vor dem Mund hatte, und fast einen Herzinfarkt gekriegt hat, dachte ich mir: Siehst du, irgendeine Intensität muss dein Werk haben.
Bei meiner ersten Ausstellung im Wiener Künstlerhaus sind meine Bilder sogar mit Klebern überpickt worden auf denen stand "Entartete Kunst".

profil:
Hat Sie das auch gefreut?

Helnwein:
Ich war bei dieser Ausstellung die meiste Zeit dabei, weil ich beobachten wollte, wie die Leute reagieren. Die normale Reaktion war, dass sie den Kopf geschüttelt und gesagt haben: "Das muss ein Geisteskranker gemalt haben." Einige, die nicht wussten, dass ich der Urheber war, haben zu mir gesagt: "Was meinen Sie, das ist doch ein Irrsinniger, was der da macht mit den Kindern." Am Schluss habe ich mich immer vorgestellt. Die Leute waren dann peinlich berührt und haben gefragt: "Warum machen Sie solche Bilder, sind sie misshandelt worden als Kind?." In der großen Hoffnung, dass ich ja sage, weil sich dann alles erklärt hätte. Ich habe aber gesagt, ich sei weder misshandelt noch vergewaltigt worden. Dann haben die Leute sich mit dem Bild auseinandersetzten müssen.
Es ist ja so: Das Problem sind die Bilder, die die Menschen selbst im Kopf haben, ihre eigenen Bilder also. Was ich mache ist Papier mit ein paar Gramm Farbe drauf, sonst gar nichts.

profil:
Als Sie von Österreich weggingen, 1983/84, begann gerade der Aufstieg Jörg Haiders. Sind Sie je auf den Gedanken gekommen ihn zu malen?

Helnwein:
Ich bin kein Karikaturist und kein Illustrator und mit Tagespolitik wollte ich mich nie beschäftigen. Aber in den USA ist Haider neben Schwarzenegger der bekannteste Österreicher. Wenn die Leute hören ich bin aus Österreich, heißt es immer: "Oh, that's the country of, what's his name, - Haider?" Oder denken Sie an den Fall Waldheim - im angelsächsischen Raum glauben die meisten, er sei neben Eichmann der größte Massenmörder und SS-Scherge gewesen. Da merkt man, dass die Medien das doch sehr vereinfacht dargestellt haben. Auch wenn einem Waldheim unsympathisch ist: So war es ja nicht.

profil:
Interessant dass Sie das sagen, der Sie zum 50., Jahrestag der "Reichskristallnacht" auf eigene Kosten eine große Installation vor dem Kölner Dom aufgebaut hat.

Helnwein:
Ich war ja von klein auf an Politik interessiert und was ich als Jugendlicher über die Nazizeit erfahren habe, hat mich zutiefst verunsichert. In den Fünfziger-Jahren, als ich zur Schule ging, hat man nichts darüber gehört, die Eltern haben nicht darüber geredet. Dann gab es die Kriegsverbrecherprozesse, die so oft mit einem Freispruch endeten. Das hat sich tief bei mir eingeprägt: Zu sehen wie die alle davonkommen.

profil:
Stört es sie, dass Österreich in den USA immer noch als Nazi-Land gilt?

Helnwein:
Die Amerikaner wissen nicht sehr viel über Politik. Für sie schaut die Welt sehr einfach aus. Österreich wird dort kaum wahrgenommen, was nicht gegen Österreich spricht. In den Nachrichten hört man über ein Land nur dann, wenn entweder Neonazis einen Wirbel machen oder eine Bombe explodiert und Terroristen auftreten.

profil:
Bekommen Sie überhaupt noch mit was sich in Österreich abspielt?

Helnwein:
Was ich weiß, bekomme ich über das Internet. Während des Golfkriegs gab es in den US-Medien eine derart üble Propaganda und Verzerrung, dass ich ins Internet gehen musste, um herauszufinden, was eigentlich los ist. In Europa wurden ja erstaunliche Dinge berichtet, die in Amerika niemals auch nur erwähnt wurden.

profil:
Haben Sie auch mitbekommen, dass es nach der Bildung der jetztigen Regierung im ersten Halbjahr 2000 einen Kontakt-Boykott durch die anderen EU-Staaten gab?

Helnwein: Das habe ich mitbekommen, aber es hat mich wenig aufgeregt. Ich kenne ja Österreich. Ich habe den Leuten gesagt: "Keine Panik, es kommt kein neuer Hitler."

profil:
Wann haben Sie in Österreich das letzte Mal gewählt?

Helnwein:
Ich habe nur einmal gewählt, als ich 18 war, und zwar den Olah mit seiner kleinen Partei, so komisch das klingen mag.

profil:
Damals haben alle jungen Künstler den Kreisky gewählt. Hat Sie der nicht überzeugt?.

Helnwein:
Natürlich habe ich größere Sympathien zu linksliberalen und grünen Politikern. Vor rechten Politikern, wie Berlusconi muss man sich ja fürchten, und wenn in Deutschland bei der letzten Wahl Stoiber Bundeskanzler geworden wäre, wäre das gruselig gewesen.
In Österreich ist die Politik - gar nicht im negativen Sinn - wie eine Pawlatschen-Posse, sehr dramatisch, sehr theatralisch, sehr emotional. Sie hat immer einen ungeheuren Unterhaltungswert. In Deutschland ist es fader, aber auch gefährlicher.
Der Haider ist letzten Endes ein Clown mit hohem Unterhaltungswert. Dasselbe galt für den Peymann als Burgtheater-Direktor und für den Bischof Krenn. Die geben alle viel her.
Deshalb verstehe ich ja auch, dass der Deix im Land bleibt. Das ist sein Eldorado, er ist im 7. Himmel. Er muss sich vorkommen wie Onkel Dagobert in seinem Geldspeicher, so was an G'sichtern und Charakteren kriegt er nirgends.

profil:
Ihnen fehlt das alles nicht?

Helnwein:
Es gibt zwei Sachen, die ich vermisse: Das eine ist die Sprache, das Wienerisch. Ich halte es für die beste Sprache der Welt. Im Wienerischen kann man so unglaublich viel ausdrücken, wie sonst vielleicht nur im Slang der Schwarzen in Amerika.
Das andere woran ich immer gerne zurückdenke, ist der Umstand, dass Wien ein Mekka aller Irren und Sonderlinge ist, ein Absurdistan. Denken Sie nur an den Udo Proksch. Wie sich der mit einigen Haberern, kurz nachdem der Krieg beendet war, alte SS-Uniformen besorgt und damit alte Leute erschrecken geht. Später kauft er die K.und K- Hof- Zuckerbäckerei und gründet darin eine Geheim-Loge, der die Elite des Landes angehört. Und dann versenkt er auch noch ein Schiff mit einer falschen Uranmühle und 6 Matrosen, und sein Freund, der gerade Außenminister ist, besorgt ihm ein paar plump gefälschte Dokumente vom Rumänischen Geheimdienst. Dann flüchtet Udo oder Serge , wie er sich auch gerne nannte, ins Ausland, lässt sich das Gesicht umoperieren und wird CIA-Agent. Als er schliesslich im Gefängnis landet, weinen die schönsten Frauen Wiens um ihn.
Also dagegen geht's in der ganzen restlichen westlichen Welt relativ nüchtern zu.

profil:
Haben Sie sich je mit dem Gedanken getragen wieder zurückzukommen?

Helnwein:
Ich komme sicher nicht zurück. Ich weiß, dass meine Kunst zutiefst österreichisch ist, und dass meine Wurzeln in der österreichischen Kultur-Tradition liegen. Aber ich brauche die Distanz. Ich kann die Qualitäten dieses Landes viel mehr schätzen, wenn ich weit weg bin.

Interview: Herbert Lackner

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