helnwein archiv

Tiroler Tageszeitung – 17. Juni 1980

one- man show, Galerie Bloch, Innsbruck

Von den alltäglichen Lebenskatastrophen unserer Zeit

Der 1948 geborene Wiener wird in den USA wie in Japan als virtuoser Graphiker zur Kenntnis genommen, der mit Bleistift und Feder, Buntstift und Aquarellpinsel eine Hinterwelt gespenstischer Überwirklichkeit, der Banalität des Entsetzlichen, des Wahnsinnigen, einen neuen Surrealismus ausspielt.
Dieser Surrealismus hat nur mit einsamen und ehrlichen Manifesten des alten Surrealismus zu tun.
Er ist mit Goya, Kafka, Edgar Allan Poe, mit den härtesten Äußerungen expressionistischer Graphik und Literatur enger verwandt.

Gottfried Helnwein bringt vor allem Zeitgefuehl zum Ausdruck: Stimmungen einer Zeit, in der die Massierung grausiger Unfälle zu erwartbaren, banalen Feiertäglichkeit wird, die "fernen Gräuel" von uns kaum noch registriert werden, die Neurosen einander grüßen und die Welt in Folterkammer oder Giftküche oder Wüste, im besten Fall in eine dröhnende Baustelle des Standards verwandelt wird.
Die Welt der Terroristen,die nicht mehr Ideologien, sondern "Zeitgefühl" gehorchen, die Welt der Punk-Jugend, ihr Kult mit dem Häßlichen, nicht länger Hippiehaft verspielt, sondern bösartig absurd.
Wir spüren sie in der Kunst dieses Hochbegabten, der Zeit mit seiner ganzen Künstlerhaut empfindet.
Gottfried Helnwein ist an der Akademie der Bildenden Künste Schüler Rudolf Hausners gewesen. Von Hausner und der "Wiener Schule", wie immer man zu ihnen auch stehen mag, sind in Österreich zwei bleibende Impulse ausgegangen; die Forderung nach hoher zeichnerischer, malerischer Perfektion,auch eine neue Mystik, die Beschäftigung mit Ruinenwelten, zweckentfremdeten technischen Architekturen. Beides können wir auch bei jüngeren Künstlern, die sich von der "Wiener Schule" abgewandt haben, lesen. So bei Helnwein, der die Wiener Kultur des Zeichnens und der minutiösen Malerei total mit jenem neuen Realismus aus Amerika, der mit klassischen bildkünstlerischen Werkzeugen fotografische Genauigkeit erzeugt, Lichtbilder "vorlügt", in Verbindung bringt.
Für den Stil Gottfried Helnweins - und Stil ist Einheit von Form, Inhalt und Unwegbarem - dürften ungleich wesentlicher die Erfahrungen bei Happenings der Wiener Aktionisten, die Arbeiten eines Arnulf Rainer, die Auseinandersetzungen mit der "Körperkunst", die oft eine sadomasochistische Mimik hat, gewesen sein.

Es gibt von Helnwein Blätter, in denen Akribie und Virtuosität der Feder Zeichnungen von klassischer Schönheit erzeugen, ironisch historiziert. Doch inhaltlich drängt sich stärker und stärker die Thematik des Künstlers in den Vordergrund: seine manische Beschäftigung mit der "Verlarvtheit" des Menschen, ob er nun eine entstellende Pappnase oder einen Gesichtsverband trägt, der ihn blind macht und vielleicht eine schreckliche Brandwunde verbirgt, eine Narbe oder das Grimassenlachen des Rausches, irrsinniger Verzweiflung.
Farbige Blätter erschrecken technisch wie durch den Ausdruck von Lebenskatastrophe; man muss sie sorgfältig betrachten, um sie von vorzüglich ausgearbeiteten Fotografien unterscheiden zu können, von Lichtbildern, die aus den Abgründen des Menschen neben uns schrillen oder von lautlosem Schrecken sind. (v.h.)