helnwein archiv

Saarbrücker Zeitung, Themen der Zeit – 15. Mai 1993

"Faces", 1993

PROMINENTEN-FOTOS UND IHRE GESCHICHTE

von Roland Mischke

Beim Star-Porträtisten Gottfried Helnwein bekommen uns allen bekannte Personen ganz neue Gesichter
Michael Jackson ließ nach Los Angeles bitten. Keith Richards bat er - zum Fototermin vor die Rudimente der Berliner Mauer. Norman Mailer besuchte er in seinem Haus am Meer Zum Dramatiker Heiner Müller drang er vor, als der Osten noch Feindesland war.Die betagte Hitler-Fotografin Leni Riefenstahl erzählte ihm vom Tiefseetauchen, vom "Führer" kein Wort. Der ehemalige Solidarnosc-Führer Lech Walesa war nichts als ein grinsendes, rundes, feistes, glänzendes Gesicht.
Mit dem dirty old man der amerikanischen Literaturszene, Charles Bukowski, unterhielt er sich über Bordelle im Rheinland. Der Sänger Lou Reed von Velvet Underground sprach stundenlang von Andy Warhol. Andy Warhol sagte stundenlang kein Wort.

Gottfried Helnwein, der es als hyperrealistischer Maler zu einigem Aufsehen in der Kunstszene, zu Ruhm in der Gemeinde seiner Anhänger und zu einem erklecklichen Vermögen mitsamt einem Schloß in der Eifel gebracht hat, ist unter die Fotografen gegangen. Der gebürtige Wiener, der seit 1985 in Deutschland lebt - eine Ausstellung seiner Werke unter dem Titel "Gemälde - Installationen - Fotografien" findet in der Zeit vom 17. Mai bis 18. Juli in St. Ingbert im Museum am Markt statt - wollte Idole, die jeder kennt, mag oder haßt, ablichten, um anschließend die Fotos als Vorlage für seine Gemälde zu benutzen. Jahrelang malte er mit feinsten Marderpinseln Cover für "Time", "Newsweek", "Paris Match", "Spiegel", "Stern" und andere Magazine. Seine Bilder vom porentiefen, faltigen Gesicht Mick Jaggers oder den tranigen Augen des Boxers Muhammad Ali brachten es weltweit zu Berühmtheit.

Während des Fotografierens entwickelte sich vor etwa zehn Jahren das ursprüngliche Hilfsmittel zum selbständigen Medium. Helnwein mutierte vom Maler zum Fotografen und spielte mit Licht und Schatten, um die Gesichter der Prominenten unverwechselbar abzulichten. Die Idee zu "Faces", einem Sammelband seiner besten Aufnahmen (Edition Stemmle, Zürich), entstand. Selbstbewußt glaubt der Künstler, daß ihm Bilder gelungen sind, die das Prädikat einmalig verdient haben. Bilder, die zwar bekannte Personen zeigen, aber zugleich bisher nie Gesehenes offenbaren.

"Die Fotos des Künstlers sind unverwechselbar: Das ist Magie"
Alle Helnweinschen Fotos zeigen auch den, der hinter der Kamera war. Siesind unverwechselbar. "Fotografie ist nur scheinbar ein objektives Medium", hat der 1949 geborene Künstler entdeckt. "Wer so fotografiert wie ich, der spürt etwas von der Seele des anderen", sagt Helnwein. Zwar stehen allen Lichtbildnern dieselben Mittel zur Verfügung, aber immer ist es "ein anderes Universum", das in den Fokus genommen wird. "Der Mick Jagger, den ich fotografiert habe, ist völlig anders als der, den Helmut Newton fotografiert hat". Helnwein glaubt, daß das Geheimnis eines bedeutenden Fotografen "nicht so ohne weiteres" zu entschlüsseln sei. "Das ist Magie."

Gottfried Helnwein "Mick Jagger", Fotografie, 1982
www.helnwein.org/werke/photo/group4/image329.html

Die Fotos von Gottfried Helnwein haben nichts gemein mit der technisch ausgefeilten Glätte etwa eines Robert Mapplethorpe. Helnwein überschminkt und verfremdet keine Gesichter, sondern zeigt sie, wie sie sind. Ihm geht es nicht um Motive, sondern um die Menschen, die er fotografiert, um seine Nähe zu ihnen, um Intimität gar. Die Gesichter zeigen Verletzungen oder offenbaren Zustände, mitunter legen sie Geheimnisse bloß.

"Ich habe erkannt", erklärt er, "daß man in der Fotografie Dinge sichtbar machen kann, die man mit bloßem Auge nicht sieht". Die Bilder sind kein Blendwerk, kommen ganz ohne die Schönfärberei der Retusche aus und sind nur einem Ideal verpflichtet: der Wahrheit Das ist ihr Pathos, aber auch ihre Überraschung. Die Helnweinschen Porträts vermitteln den Schock des Neuartigen, die bisher noch nicht dagewesene Sicht auf ein Gegenüber.

Gottfried Helnwein hat seine "Faces" veröffentlicht, nicht die teilweise skurrilen Geschichten der Foto-Sessions, nicht die Gespräche, die er mit den Stars geführt hat Sie schriftlich festzuhalten, das würde auf ein angeschwollenes Buch hinauslaufen, in dem neben Alltäglichem und Menschlichem, Allzumenschlichem auch einige Seltsamkeiten festgehalten wären. Porträtfotografie schafft immer einen Ausnahmezustand, in dem ein Mensch sich einem anderen ausliefert.

"Geplatzter Termin: Michael Jackson wollte Gorbatschow partout nicht treffen"
Mit David Bowie, den Helnwein auf der Karibikinsel besuchte, auf die sich der Sänger zeitweise zurückzieht, sprach mit ihm zwei Tage lang über das Malen. "Er malt selbst, und wollte wissen, was ich von seinen Bildern halte." Der Sänger Lou Reed von Velvet Underground beichtete Helnwein, daß er sich Andy Warhol zu seinem künstlerischen und sogar menschlichen Vorbild erkoren hatte, doch von dein Autisten verletzt und zurückgestoßen worden war. Dennoch wollte er erneut den Kontakt zum Erfinder der Art Factory herstellen, und er bat Helnwein inständig, bei seinem Besuch bei Warhol zu sondieren, ob man wieder zueinanderkommen könnte.

Das mißlang. Als Helnwein mit seinem assistierenden Sohn Cyril in New York fotografierte, gab sich Warhol höflich, aber distanziert. "Er war bleich, ein wenig gelblich, wächsern, so wie man ihn öfters in seinen letzten Lebensjahren sah - und er sagte stundenlang kein Wort." Der Künstler saß seinem Porträtisten minutenlang regungslos Modell, wie eine Ikone. "Auch in seinem Gesicht bewegte sich nichts. Das war schon seltsam." Helnweins Sohn Cyril wurde das schließlich unheimlich. Auf Lou Reed angesprochen, reagierte Warhol mit Schweigen. "Ich spürte aber, daß sein Interesse erwacht war", erinnert sich Helnwein. "Doch offenbar war die Situation so verfahren, daß nichts mehr zu machen war." Helnwein empfand das als tragisch: "Da wollten zwei zueinander kommen, aber es ging nicht." Wenig später war Andy Warhol tot.

Gottfried Helnwein "Andy Warhol", Fotografie, 1983
www.helnwein.org/werke/photo/group4/image338.html

Überraschend war, daß Michael Jackson von sich aus auf Helnwein zukam. Für gewöhnlich läßt der Superstar keinen Fremdfotografen an sein vielfach geliftetes Gesicht. 1990 hatte plötzlich Billy Bray, Jacksons bester Freund seit dessen Kindertagen und Tourneebegleiter, bei Helnwein angerufen und mitgeteilt: "Michael is a great fan of yours!" Das war nicht nur ein amerikanisch-freundlicher Euphemismus. Der fragile Sänger, dem man nachsagt, seitdem er die Menschen in Form seiner Fanhorden kenne, liebe er nur noch die Tiere, kannte Helnweins gesamtes Oeuvre.

Gottfried Helnwein "Michael Jackson", Fotografie, 1988
www.helnwein.org/werke/photo/group4/image330.html

Als sich beide während der Deutschland-Tournee des besten Glucksers der Pop-Geschichte in Gelsenkirchen und später in Los Angeles trafen, hatte Jackson "millions of questions". Sie sprachen mehrere Stunden über Malerei im allgemeinen und Helnweins Stil im besonderen. "Michael hielt weder einen Affen im Arm noch kam er mit der Giraffe am Zügel", sagt Helnwein. "Ich halte ihn nicht nur für hochintelligent, sondern auch für überdurchschnittlich gebildet".

Beim zweiten Besuch redeten sie über Gorbatschow, der sich in diesen Tagen, noch erster Mann der bereits zerfallenden Sowjetunion, in der Botschaft seines Landes in Washington aufhielt. Gorbatschow hatte dort auch einen Fototermin mit Helnwein, aber der ließ ihn sausen, um Michael Jackson zu trösten, der gerade seine LP "Dangerous" einspielte, in einer Phase der Unzufriedenheit steckte und unglücklich im Studio saß. Die Sowjets luden spontan den Megastar zum Zusammentreffen mit ihrem Präsidenten, doch zu einer solchen spektakulären Männerbegegnung war Michael Jackson nicht zu bewegen.

Da war, erkannte Helnwein, die Grenze erreicht. "Er ist wunderschön, fragil und völlig unirdisch", sagt Helnwein. "Ich hatte immer das Gefühl, er steht gar nicht richtig auf dem Boden, sondern schwebt leicht. Michael Jackson weiß um diese Wirkung auf andere, und er versteht sie auch einzusetzen."

Den Sänger Sting erlebte Helnwein, als der sich Yoga-Übungen hingab. "Er wand, verdrehte und verknotete sich, stand minutenlang auf dem Köpf. Der Schweiß floß in Strömen an ihm herunter." Danach fotografiert Helnwein Sting, dessen Gesicht auf den Bildern erschöpft und ausgelaugt wirkt.

Makaber war die Begegnung mit dem Schriftsteller William S. Burroughs, den Helnwein nach langem Bemühen in seinem Haus in Lawrence (Kansas) besuchte. Burroughs hat mit "Naked Lunch" ein Schlüsselwerk der Hippie-Generation geliefert und war ein großer Inspirator für zahlreiche Autoren. "Man sieht sofort, daß er jemand ist, der in die Tiefen der Hölle hinabgestiegen ist und das so beschrieben hat wie niemand anders", erzählt Helnwein.

Gottfried Helnwein "William S. Burroughs", Fotografie, 1990
www.helnwein.org/werke/photo/group4/image325.html

Er hatte die Idee, den Schriftsteller ausgerechnet mit einer Waffe zu fotografieren. "Das war schwierig, denn es ist ja bekannt, daß Burroughs mit Waffen viel Dummes angestellt hat. Da gibt es diesen dunklen Punkt in seiner Biographie: Er hat seine Frau erschossen. Das geschah auf einer Party, als seine Frau sich als Gag ein Glas auf den Kopf stellte, und William sollte es runterschießen. Irgendwann waren beide so stoned, daß er sie voll erwischt hat." Burroughs wollte erst nicht die 45er vor sein Gesicht halten, damit der Schatten des Laufs quer darüber fällt. Doch weil Helnwein nicht locker ließ, tat er es schließlich. "Das sind, denke ich, sehr gute Fotos geworden", sagt der Fotograf.

Leni Riefenstahl war die einzige Frau, die sich bisher auf den Fotografen Helnwein einließ. Die 91jährige Filmemacherin, die zur Zeit des Dritten Reiches Hitlers Aufmärsche glorifizierte, wollte mit ihm nur über ihr Hobby Tiefseetauchen sprechen. "Die Vergangenheit war tabu". Frauen scheinen instinktiv die Nähe, die Helnwein herstellen will, zu scheuen. Seine Sucht nach Intimität befremdet sie, und seine faltentiefe Art der Porträtfotografie, so ist zu vermuten, mißfällt ihnen. Mehrere Showstars, darunter Madonna, erteilten Helnwein Absagen. Selbst ein Termin mit Mutter Teresa kam nicht mehr zustande, nachdem die Friedensnobelpreisträgerin Fotos gesehen hatte.

Gottfried Helnwein "Leni Riefenstahl", Fotografie,1990
www.helnwein.org/werke/photo/group4/image334.html

"Große Probleme auch mit den Topstars der Rolling Stones"
Einer Odyssee glich auch, an die Rolling Stones heranzukommen. Für Helnwein waren sie die Helden seiner Teenagerzeit - "Ich bin mit denen aufgewachsen, habe meine ganze Jugend mit den Stones verbracht" -, und als es 1983 in gewöhnlich gut informierten Kreisen hieß, die heillos verkrachten Mick Jagger und Keith Richards würden sich wieder aufeinander zubewegen, flog Helnwein nach London. Drei Wochen ließen die Rolling Stones ihn hängen, immer neu wurden gesetzte Termine gestrichen. "Was daran lag, daß Mick kam und Keith gesehen hat. Dann drehte er sich sofort um und ist wieder abgehauen. Mick mußte beruhigt und wieder hergebracht werden. Dann war Keith es, der den Beleidigten spielte. So ging das immer hin und her. Ehrlich, die haben sich so gehaßt, ich habe geglaubt, die kriegt keiner mehr zusammen".

Eines Nachts wurde Helnwein plötzlich im Studio angerufen. Um Mitternacht begannen die Musiker zu proben. Er mußte an Leibwächtern vorbei und wartete im Flur auf die Begegnung mit seinen ganz persönlichen Idolen. "Plötzlich kam so ein kleiner Typ um die Ecke, in einer großen Bundfaltenhose, mit schlohweißem Haar. Ich dachte, das ist der Sanitäter. Aber es war Charlie Watts leibhaftig. Er sah mich, knurrte 'Presse? Wuuuaaah!' und war wieder weg."

Trotzdem wurde Helnwein ins Allerheiligste vorgelassen. "Das war eine riesige Halle, dreckig, mit Graffiti verschmiert. Hier hatten The Who geprobt, auf dem Eisschrank war noch ein Aufkleber von ihnen. Im Abstand von zwei Metern stand ich vor Keith, dem gerade die Gitarre umgehängt wurde. Auch Bill Wyman war da. Hi! grüßten sie. Das war natürlich Weihnachten für mich."

Eine ganze Nacht spielten die Streithähne miteinander, das erste Mal seit vielen Jahren. Und Helnwein war dabei. "Das hat mir wahnsinnig gefallen. Obwohl Keith und Mick zunächst kein Wort miteinander redeten, sich auch nicht ansahen. Die einzige Möglichkeit, in Kommunikation zu kommen, war die Musik. Keith begann einfach 'Jumping Jack Flash' zu spielen, die anderen fielen ein. Da war eine Intensität, die in keinem Konzert und auf keiner Platte auch nur annähernd erreicht werden kann. Alles hat gestimmt. Mir schien, die Stones haben allein für mich in die Saiten gegriffen und aufgespielt. Da wußte ich, es gibt einen Herrgott!"

Mehr Fotografien von Gottfried Helnwein
www.helnwein.de/werke/photo/tafel_1.html

15.May.1993 Saarbrücker Zeitung Roland Mischke