helnwein archiv

Rhein-Zeitung – 1. März 1993

"Faces", Rheinisches Landesmuseum Bonn, 1993

WEDER KLISCHEE NOCH POSE

von Rolf Thienen

Gottfried Helnweins "Faces" im Rheinischen Landesmuseum Bonn

Bonn. Es war 1990. Die wiedervereinigung hielt in positiver Weise, im Gegensatz zu heute, die Deutschen in Atem, und nahezu unbemerkt, jedoch beiliebe nicht Heimlich, entstanden in dem Bereich, wo die Mauer noch stand und einen idealen Hintergrund abzugeben vermochte, einige der eindrucksvollsten Portraits, die Gottfried Helnwein je geschaffen hat.

Das Licht war weg, Helnwein und Keith Richards, richtig, der von den Rolling Stones und heutzutage mit seinen "X-pensie Winos" nicht ganz so erfolgreich doch authentischer, jene beiden gingen an einem Mauerstück entlang auf der Suche nach Licht. Fanden sine Baubude, deren Stromkabel sich anzapfen ließ und die Fotos wurden gemacht.

Warum Hintergrund fragt man sich? Worauf man bei Helnweins Fotos hinschaut ist das Gesicht. Die Austellung und das dazugehörige Buch heißen letztendlich ja auch "Faces", und nur bei wenigen Ausnahmen, ein Foto von Keith Richards, von Arno Breker, Muhammed Ali, lassen sich neben dem Gesicht auch noch Arme und Hände erkennen. Warum also ausgerechnet an der Mauer? Kein neutraler Hintergrund wie bei den anderen Portraits?

Einzig Mick Jagger noch wird vor einer Mauer porträtiert. Doch welcher Unterschied. Der Hintergrund zu Mick Jaggers Portrait ist eine sauber ausgefugte Ziegelsteinmauer. So glatt und sauber wie Mick Jagger im vergleich zu Keith Richards erscheint, dessen Hintergrund eine eckige, dunkle, kaputte, verletzte Mauer bildet. So glatt und sauber, wie Mick Jaggers Musik im Gegensatz zu Keith Richards Musik erscheint, der von sich selber sagt, daß er eine Menge Krach mache. So glatt und sauber wie das Image, daß beide, hundertfache Millionäre, vor sich hertrragen. Mick Jagger eitel bis in die Fingerspitzen, Keith Richards im Grunde immer noch so, wie er vor jetzt gut vier Dezenien durch die südenglische Landschaft streifte, abgewetzte Schuhe und Hosen, dreckige Fingernägel, und, wie Helnwein sagt stolz auf Herkunft und persönlich erlebter Geschichte. So präsentiert sich Keith Richards auch heute noch.

Ein Gesicht wie eine Landschaft, um den abgegriffenen Topos neu zu verwenden, ein Gesicht, in dem sich die gesamte Geschichte des Rock'n Roll wiederspielt. Wenn Helnwein von seinen Beziehungen zu den Aufnahmen spricht, merkt man etwas von der unmittelbaren Authentizität, die diesen Fotos eigen ist. Er berichtet, daß der Anfang seiner Fotografie darin begründet liegt, daß er mit den Fotos der anderen Fotografen immer unzufrieden war.

Sah er Foto von Helmut Newton, sah er Newton, der sich in seinen Fotos wiederspiegelte. Ihn, Helnwein, interessierte aber immer das Gegenüber bei der Fotografie, der Abgebildete, eingedenkt der Tatsache, daß jede Abbildung jedoch auch gleichermaßen eine Interpretation ist.

Doch, so schätzt er ein, ist seine Neugier so groß, daß sie ein rein interpretatorisches Vorgehen ausschließt. Deswegen auch die Beschränkung auf Gesichter. Auch wenn, wie wir oben gesehen haben, immer noch etwas mehr hinzu kommt.

Es ließen sich noch andere Beispiele geben. So zum Beispiel die beiden Apologeten der Beat-Generation Charles Bukowski (übrigens in Andernach geboren) und Williamn S. Burroughs, einmal sehend und das andere mal blind. Die beiden Apologeten der Kunst Leo und Peter Ludwig, welch ein Unterschied: Händler und Sammler. Die beiden Politiker Willi Brandt und Lech Walesa, Zweifel und Selbstzufriedenheit.

Was mir bei dieser Ausstellung aufgefallen ist, ist die Bildung von Paaren, zu dem diese Ausstellung auffordert. Jedoch diese Erfahrung muß jeder selber machen, und vielleicht werden andere Entscheidungen getroffen. Denn: so wie das Foto auch immer eine Interpretation durch den Fotografen ist, so ist die Betrachtung einer Fotografie eine Interpretation der interpretation.

Gottfried Helnwein "Faces"
www.helnwein.org/werke/photo/group4/image.html