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Quest, art-magazine – 1. März 2004

Interview mit Gottfried Helnwein

von Marc Kayser

"Die Helden meiner Bilder sind oft Kinder. Ich sehe die Welt am liebsten durch die Augen eines Kindes.
Jedes Erziehungssystem zu allen Zeiten und in allen Gesellschaften hatte immer nur ein Ziel: Menschen gefügig zu machen, sie zu brechen. Wenn Sie auf der anderen Seite herauskamen, haben sie in der Regel ihr eigenes Universum und jede Spontanität und Kreativität verloren.
Die wenigen, bei denen dieses System nicht ganz funktioniert , sind Künstler. Irgendwie schaffen sie es, bis zu einem gewissen Grad Kind zu bleiben.
Cocteau sagte einmal: "Kinder und Narren durchschlagen den Gordischen Knoten, den der Poet sein Leben lang zu lösen versucht."
- Künstler sind, ob sie es wollen oder nicht, Gegenspieler der Bürgerlichen Gesellschaft. Tolouse-Lautrec lebte lieber bei Huren und Verbrechern als auf dem Schloss seiner Ahnen. Wirkliche Kunst wird die bürgerlichen Werte- und Glaubensysteme immer bis zu einem gewissen Grade in Frage stellen."

Quest:
Herr Helnwein, Sind Sie abergläubisch?

Helnwein:

Eigentlich nicht.
Allerdings ist die 13 eine Zahl, die mich zeitlebens verfolgt hat. Wir wohnten als Kinder im Haus Nummer 13, mein erstes Atelier trug diese Nummer, usw.. Wäre ich abergläubisch, müsste ich sehr nachdenklich sein.

Quest:

Und was ist mit Wesenheiten, Engeln, weissen Energien?

Helnwein:

Ich weiss nicht was Engeln sein sollen, aber meine Welt ist sicher eine pantheistische Welt.
- Ein Pandämonium, in dem alles belebt ist. Das entspricht zwar nicht dem offiziellen Zeitgeist, aber für mich ist das so.
Für Irland, meine Wahlheimat gilt das ganz besonders. Da gibt es magische Orte, und viele Menschen hier sind überzeugt, dass es Elfen und Leprechauns gibt, und manche haben sogar Kontakt zu ihnen.
Ich bin auch etwas sonderlich geworden im Alter. - Jeden Morgen, wenn ich in meinen Garten gehe, unterhalte ich mich mit den Bäumen und Büschen und den Vögeln. Ich weiss, dass klingt jetzt wahnsinnig, aber das ist mir völlig egal.

Quest:

Wobei Sie als gebürtiger Wiener den gewissen Hang zur Morbidität, zur Exzentrik und zum Abnormalen hinter dem Normalen ja praktisch mit der Muttermilch aufgesaugt haben.

Helnwein:

Ja die Wiener haben immer eine Nähe zum Tod und zum Wahnsinn gehabt. Wien ist eigentlich wie die Verlängerung vom Zentralfriedhof und man hat nicht ganz zu Unrecht immer von der Lust am Untergang gesprochen.
Aber diese Sehnsucht zum Dunklen und zum Abgründigen hat in diesem seltsamen Biotop ungeheuer kreative Energien freigesetzt - in der Malerei, in der Musik, auf der Bühne, in der Literatur.
Und sie hat die Weltgeschichte um ein paar erstaunliche Gestalten bereichert, Freud, Hitler, Herzl, Schiele, Messerschmidt, Sacher-Masoch, Gustav Mahler, Thomas Bernhard, um nur einige zu nennen.
Meine Kunst ist sicher geprägt durch diese Tradition.

Quest:

Ihre Arbeiten scheinen manchmal auch wie in eine Art Untergang gekleidet.

Helnwein:

Ich bin ein Nachkriegskind, geboren auf einem Friedhof. Alles war schwer und schwarz und die Leute waren wirklich alle unglaublich grantig und hässlich.
Was mich damals rettete, war, dass ich als sechsjähriger ein Kaugummi-Bildchen mit Elvis Presley darauf, in die Hände bekam. Ich war ganz verblüfft, dass ein Mensch so schön sein konnte.
Das hat mir Hoffnung gegeben.

Quest:

Dennoch sind sie eher ein Maler der dunklen Farben. Schwarz und Grau.

Helnwein:

Ende de 80er Jahre habe ich begonnen blau-monochrome Bilder zu malen. Ich wollte reduzierter und konzentrierter malen und so habe ich irgendwann die Farben weggelassen - nur blau und schwarz sind geblieben.
Als ich zu malen begonnen habe, waren meine Motive meist verwundete Kinder, in zarten Aquarellfarben, vorwiegend in rosa.
Deshalb habe ich auch zu malen begonnen, weil Grauen, Schmerz und Angst die Welt meiner Kindheit geprägt haben, wie die Bilder in den katholischen Kirchen, die von Martyrium, Extase, Folter und Tod erzählen.
Kunst war für mich die einzige Möglichkeit mich dieser Thematik zu nähern.

Quest:

Eine Binde um die Augen ist wie ein Abschied vom Licht. Wollten Sie sich damit aus der Welt stehlen, in dem Sie Ihre Objekte bandagieren?

Helnwein:

Sicher gibt es gerade in diesen frühen Arbeiten autobiographische Momente. Kunst ist für mich eigentlich der beste (Not-)Ausgang, die beste Tür, die es gibt, für jede Situation. Ich habe dabei gemerkt, dass man mit Hilfe von Ästhetik eigentlich alles umwandeln kann.
Egal wie grauenhaft und entsetzlich etwas sein mag: Kunst ist das universelle Lösungsmittel.

Quest:

Wohin führt diese Tür? Haben Sie einen Lieblingsraum, in die Sie die Kunst fährt?

Helnwein:

Ich bin besessen von der Sehnsucht nach Freiheit. Was mich am meisten als Kind belastet hat, war die Unfreiheit. Dass ich ständig von jemand anderem kontrolliert wurde; dass mir immer jemand gesagt hat, was ich darf und was ich nicht darf; was ich tun und nicht tun sollte, was ich denken soll und in welches Glaubenssystem ich gehöre.
Deshalb liebe ich auch mein derzeitiges Leben zwischen Irland und Los Angeles.
Ich habe noch nie so ein Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit gehabt, - Los Angeles ist die absolute Gegenwelt zu Irland, aber auf eine ganz andere Art ist diese Stadt auch ein magischer Ort.

Quest:

Was ist das für eine Magie?

Helnwein:

Diese Wüstenstadt ist seit hundert Jahren der Fluchtpunkt von Menschen mit zu grossen Träumen. - Visionäre, für die es nirgends einen Platz gibt, die man Überall sonst als Spinner oder Irre bezeichnen würde.
Hier kamen sie alle an: Walt Disney, Charly Chaplin, Roman Polanski, Greta Garbo, Raymond Chandler, Hitchcock, Marlene Dietrich, der junge Mann namens Samuel Wilder, der vor den Nazis flüchtete, und hier zu Billy Wilder wurde, oder Arnold Schwarzenegger.
Jeder von ihnen hat die Welt mit seinem Zauberkunststück verblüfft und damit ein bisschen verändert

Quest:

Herr Helnwein, Sie lebten und arbeiteten lange Zeit in Wien und Deutschland, zogen später nach Irland und Los Angeles. Führen Sie ein Flucht-Leben?

Helnwein:

Eigentlich ja. Es ist bei uns wie bei einer Zigeuner Familie, -wir sind immer weiter gezogen, immer auf der Suche nach dem richtigen Ort, einer Heimat.

Quest:

Was bedeutet für Sie Heimat?

Helnwein:

Ein mystischer Begriff. Eigentlich unerklärbar.
Ich spüre einÜberwältigend emotionales Gefühl, wenn ich im Flugzeug sitze und schaue herunter auf diese kleine grüne Insel Irland. Ich werde so sentimental dass ich Tränen in den Augen habe.
Obwohl ich dort nicht geboren bin, habe ich das Gefühl, ich gehöre zu diesen vielen Iren, die dort seit Jahrhunderten um ihre ihre karge Existenz kämpfen, singen, dichten, saufen und ständig auswandern mussten. Aus irgendeinem Grunde fühle ich mich als Teil dieser eigenartigen und traurigen Geschichte.

Quest:

Was brodelt da in Ihrem Kopf?

Helnwein:

Unzufriedenheit und Neugierde. Ich muss immer Neuland betreten, möchte mich neuen Situationen aussetzen, neuen Welten, in andere Dimensionen vordringen.
Ich will mehr wissen als das, was die Gesellschaft mir anbietet.

Quest:

Aber Sie werden es nicht schaffen, alles zu wissen.

Helnwein:

Das ist richtig. Aber ich werde es immer versuchen.
Vielleicht bin auf einer Reise, bei der ich niemals ankommen werde, aber ich erlebe erstaunliche und aufregende Dinge dabei.
Jetzt war ich gerade in China, wo ich in Peking eine Museums-Ausstellung vorbereite. Und ich dachte: es wäre doch ganz schön, auch ein Atelier in China zu haben.

Quest:

Sie schufen viele Arbeiten auf einer Burg am Rhein. Warum verliessen Sie Deutschland? War das nur eine logische Fortsetzung Ihres Wander- und Reisetriebs?

Helnwein:

Es war damals, 1996, einfach der richtige Augenblick, um zu gehen.
Deutschland war ein wichtiger Ort für mich, - meine Kinder sind da aufgewachsen, und ich habe Menschen kennengelernt, die für meine Entwicklung sehr bedeutend waren und meine besten Freunde geworden sind.
Die grösste Gefahr für einen Künstler ist es, sesshaft zu werden, von der Gesellschaft vollständig anerkannt und verschluckt zu werden, die Professur oder ein hoher Marktwert zerstören meistens die Kreativität. Dieser Gefahr war ich aber noch nie ausgesetzt, weil ich immer genügend Gegner hatte, und meine Arbeiten in der Regel immer für das nötige Mass an Aufregung und Unruhe gesorgt haben.
Also ziehe ich weiter, Ich habe keine Wahl.

Quest:

Haben Sie den richtigen Zeitpunkt schon mal verpasst?

Helnwein:

Das sowieso. Jedes mal habe ich das Gefühl, ich hätte schon fünf Jahre vorher abhauen sollen.

Quest:
Sie klingen, als seien Sie getrieben von etwas. Ein stets Unzufriedener. Ist das so?

Helnwein:

Eigentlich immer. Das ist vielleicht auch die beste Triebfeder. Ich bin immer unzufrieden. Auch mit meiner Arbeit. Ich denke immer, das war es noch nicht. Auf diese Weise werde ich wahrscheinlich auch bis zum letzten Atemzug immer in Panik voran drängen. Das hat natürlich eine Dynamik, die einen wach und jung hält.

Quest:
Die einen aber auch psychisch ganz schön fordern kann.

Helnwein:

Ja, aber das Gute daran ist , dass ich diesen Stress es durch die meine künstlerische Arbeit transformieren kann.

Quest:

Und die Kehrseite?

Helnwein:

Früher war ich oft aggressiver und wahrscheinlich schwieriger für andere.
Doch ich habe das Gefühl, je älter ich werde, desto ruhiger und sympathischer werde ich.

Quest;

Ich sollte Ihre Frau fragen...

Helnwein:

Ich bin heute viel gelassener als früher. Normalerweise werden Menschen im
Alter grantig, aber bei mir ist das nicht so.

Quest:

Herr Helnwein, Ihre Arbeiten beschäftigen sich oft mit Tod oder Todesnähe.
Sind Sie innerlich dem Tod schon mal näher gewesen als dem Leben?

Helnwein:

Ja, schon einige male.

Quest:

Was ist das für ein Gefühl?

Helnwein:

Kein lustiges, würde ich sagen. Aber es ist ein gutes Gefühl, wenn man nachher wieder aufwacht und wieder da ist und wieder neu anfangen kann.

Quest;

Also kein Gefühl der Niederlage?

Helnwein:

Für mich ist es wie ein Aufwachen, weil ich in dieser Extremsituation Reserven mobilisiere. Eigentlich sind diese Situationen notwendige Stationen. Sie sind ein Vorteil. Ich glaube, die grösste Gefahr für die Leute ist nicht, dem Tod nahe zu kommen, sondern lebende Tote zu sein. Also vor dem Fernseher dahinzuvegitieren und nichts neues, eigenes mehr machen, keine neuen Erfahrungen mehr zu sammeln.

Quest:

Aber jeder Mensch strebt doch in gewisser Weise nach Selbsterfüllung, nach Erfolg, nach Anerkennung.

Helnwein:

Das Fernsehen ist ein Indikator für den totalen Zerfall unserer Kultur: Unterhaltungs-Trash und ein nicht enden wollender Reigen an Vollidioten, die für 15 Minuten berühmt sein dürfen, genau wie Andy Warhol es vorausgesagt hatte.

Quest:

Sie bandagieren auf Ihren Bildern nicht nur Menschen, sondern bohren ihnen auch Klammern und andere Metallgegenstände in Kopf und Mund. Ist das der Ausdruck eigenen Leids?

Helnwein:

Es ist ein alter Irrtum, dass die Leute immer denken, der Künstler heckt irgendwas aus, plant und konstruiert etwas, oder hat irgendeine schlaue Idee und will etwas bedeutendes aussagen.
Alle Künstler, die ich kenne, arbeiten völlig intuitiv. Das Denken ist eigentlich nicht involviert, es spielt keine grosse Rolle dabei. Es gibt eine Art höhere Instanz.
Kunst kommt von woanders her.

Quest:

Suchen Sie danach?

Helnwein:

"Ich suche nicht, - ich finde", sagte Picasso einmal. Ein legendärer Satz, aber im Alter war sich Picasso manchmal nicht mehr ganz sicher, ob er diesen Satz nicht umgekehrt gemeint hatte.
Für mich ist die Kunst, meine Malerei, die einzige Möglichkeit überhaupt, auf diese Welt zu reagieren.
Kunst ist für mich wie eine Waffe, mit der ich zurückschlagen kann.

Quest:

Warum so rabiat?

Helnwein:

Schauen Sie sich doch um, wir sind praktisch ständig im Kriegszustand, und täglich werden von Politikern und Medien neue Bedrohungen und Horrorszenarien erfunden.

Quest:

Und ihre Antwort darauf sind die geschundenen Geister, die gequälten Gesichter, die einsamen Gestalten in Ihren Bildern?

Helnwein:

Die Helden meiner Bilder sind oft Kinder. Ich sehe die Welt am liebsten durch die Augen eines Kindes.
Jedes Erziehungssystem zu allen Zeiten und in allen Gesellschaften hattw immer nur ein Ziel: Menschen gefügig zu machen, sie zu brechen. Wenn Sie auf der anderen Seite herauskamen, haben sie in der Regel ihr eigenes Universum und jede Spontanität und Kreativitaet verloren.
Die wenigen bei denen dieses System nicht ganz funktioniert , sind Künstler. Irgendwie schaffen sie es, bis zu einem gewissen Grad Kind zu bleiben.
Cocteau sagte einmal: "Kinder und Narren durchschlagen den Gordischen Knoten, den der Poet sein Leben lang zu lösen versucht." - Künstler sind, ob sie es wollen oder nicht, Gegenspieler der Bürgerlichen Gesellschaft. Tolouse-Lautrec lebte lieber bei Huren und Verbrechern als auf dem Schloss seiner Ahnen. Wirkliche Kunst wird die bürgerlichen Werte- und Glaubensysteme immer bis zu einem gewissen Grade in Frage stellen.
- Ich habe immer Probleme damit gehabt, mich in der Gesellschaft zurechtzufinden.

Quest:

Weil Sie von der diesseitigen Welt angeekelt sind?

Helnwein:

Ich bin ja nicht allein, wenn ich zurückschaue auf Goya, Poe, Rimbaud, Baudelaire oder Artaud dann weiss ich, dass ich in dieser Tradition zu Hause bin. Da gehöre ich hin. Das ist meine Welt.

Quest:

Das sind Freunde im Geiste. Und wirkliche Freunde?

Helnwein:

Da besteht für mich kein Unterschied, - Marylin Manson ist so jemand, bei dem ich wirklich ein Gefühl von Nähe habe. Als ich ihn das erste Mal sah, hatte ich das Gefühl, den kenne ich seit tausend Jahren. Ich verstehe ihn.
Sean Penn ist jemand, mit dem ich befreundet bin, bei dem ich das Gefühl habe, der bleibt mir für immer. Oder Manfred Deix, mit dem ich seit meiner Kindheit befreundet bin.
Nur wenn ich mit Künstlern zusammen bin, bin ich wirklich frei.