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News – 10. August 2004

VISION EINES REALISTEN

von Evie Sullivan, Interview

Der Austro-amerikanische kunst-Star über Ehe, Kinder und den Untergang Amerikas: von Schwarzenegger bis Michael Moore
Die Maschine, die immerfort höchste Qualität produziert, kann nicht still stehen.
Gottfried Helnwein, 56, arbeitet auch im Sommer wie ein Besessener. Der österreichische Maler, einer der spärlichen heimischen Weltstars seiner Profession, eröffnet soeben im "Fine Arts Museum of San Francisco" seine erste amerikanische Einzelausstellung.

Verstörte, verwundete, misshandelte Kinder: das Thema lässt ihn seit den österreichischen Anfängen in den siebziger Jahren nicht los. Seit fünf Jahren bereitet er eine Retrospektive im Nationalmuseum von Peking vor, im Mai zeichnete er für die Ausstattung des Oratoriums "Das Paradies und die Peri" beim Schumannfest in Düsseldorf verantwortlich.
Und derzeit arbeitet er am Bühnenbild für den "Rosenkavalier", den Maximilian Schell an Placido Domingos Opernhaus von Los Angeles inszeniert.

Wien im Herzen.
Für ein NEWS-Sommergespräch fand der multibeschäftigte Meister dennoch Zeit.
Unter Einsatz der unausrottbaren Rudimente wienerischer Beredsamkeit erzählte er die Schnurren von damals: als er mit seinem besten Freund Manfred Deix die Graphische Lehr-und Versuchsanstalt erlitt und den Zeichenunterricht als "unendlich fad" empfand. Deshalb malte er mit Eigenblut ein Hitler-portrait, obwohl er aktzeichnen sollte.
der Lehrkörper war schockiert, der Aktionist Helnwein, der Mann mit den bösen Wahrheiten, geboren.
Die Heimatstadt sieht er als Wiege seines Künstlertums, doch leben kann er hier nicht.
Vor 20 Jahren hat er Wien verlassern. Erst Richtung Deutschland, dann Irland, wo er auf seinem Schloss bei Tipperary "herrliche Zeiten" verbringt. Vor 2 Jahren erwarb er dazu eine Loft in Downtown L.A., wo er mit Ehefrau Renate und den vier Kindern lebt.

Interview at his Studio in Los Angeles

NEWS:
Weshalb haben Sie Wien damals den Rücken gekehrt?

GOTTFRIED HELNWEIN:
Wien mag jetzt besser sein, aber nach dem Krieg, vor allem in den Fünfzigerjahren, war es eine grauenvolle Stadt. Bei allem Respekt für die phantastische Architektur und die grosse kulturelle Vergangenheit, es war kein guter Platz zum Leben. Manfred Deix empfindet es auch nicht anders, aber er hat den Vorteil, dass er mit seiner Art von Kunst genau diesen Wahnsinn braucht und daher an der Quelle sitzt. Für ihn ist es ideal, weil er sich mit seiner Kunst rächen kann. Gottseidank.
Deix wird als einer der größten und bedeutendsten Künstler, die je dort gelebt haben, übrig bleiben.

NEWS:
Sehen Sie sich eigentlich noch als Österreicher?

GOTTFRIED HELNWEIN:
Meine Kunst ist eine zutiefst österreichische Kunst und von dieser Kulturtradition geprägt das wird sich nie ändern. Um all das zu verarbeiten, was ich in Wien erlebt habe -" dazu braucht man mehrere Leben!

NEWS:
Was lieben Sie an L.A.?

HELNWEIN:
Los Angeles ist sehr vielschichtig und für meine Arbeit der beste Ort, an dem ich je war. Ich erlebe hier ein Freiheitsgefühl, wie noch nie. In jeder anderen Stadt wird man ständig beobachtet -" besonders in Wien, wo jeder jeden kennt, was mir schon nach zwei Tagen auf die Nerven geht. Auch in New York und anderen Städten ist es nicht viel anders in der Insider Szene.
Nicht in L.A. Hier gibt es kein Zentrum, nur ein Nebeneinander von tausend Welten, jeder ethnischen Gruppe und Religion. Ganz in der Nähe meines Ateliers gibt es ganze Strassenzügen, die von Irren und Obdachlosen beherrscht werden, aber es gibt auch Viertel in denen nur Millionäre wohnen, wo man all die Wunder Plastischer Chirurgie bestaunen kann.

NEWS:
Was halten Sie von der Kunstszene in L.A.?

HELNWEIN:
Es gibt keine organisierte Kunstszene, und daher ist es die beste Kunstszene der Welt. New York ist meiner Meinung nach tot, in der Kunst geht es nur mehr um Politik und Geschäft.
Los Angeles hat eine unfreiwillige Ehrlichkeit, da wird nichts kaschiert; es ist eine Art friedlicher Anarchie, die auf Gleichgültigkeit basiert. Ich liebe Downtown Los Angeles, wo ich wohne und arbeite. Es ist für mich wie ein Rausch von Freiheit. Wenn man in L.A. aufhört auszugehen und Leute zu treffen, ist man in einer Woche vergessen sein. L.A. ist eine Stadt ohne Gedächtnis, man hört sofort auf zu existieren, wenn man nicht aktiv ist und Lärm macht.

NEWS:
Gibt es Künstler in L.A., die für Sie herausstechen?

HELNWEIN:
Marilyn Manson zum Beispiel, und Sean Penn, oder Beck. Das sind Leute, die nur in L.A. existieren können, weil es hier keine Oberlehrer-Mentalität gibt, die einem vorschreibt, was erlaubt und was verboten ist. Hier geht alles. Ein Mekka für Sonderlinge -. Marilyn Manson liebe ich. Als ich ihn zum ersten Mal getroffen habe, hatte sofort das Gefühl, den kenne ich seit einer Ewigkeit. Wir arbeiten an mehreren Projekten zusammen, Videos, Performance Kunst.
Oder Sean Penn. Er hat an der Dokumentation über meine Arbeiten zum Thema Holocaust im Museum of Tolerance im Wiesenthal Center mitgearbeitet. Er ist ein brillanter Kopf.

NEWS:
Engagieren Sie sich auch politisch in Los Angeles?

HELNWEIN:
In Los Angeles sieht man, was wirklich läuft. In Europa bekommt man das alles nicht so mit, man muss hier sein. Hier fernsehen, die Zeitungen lesen, mit den Leuten reden. Dann weiß man, was Propaganda wirklich ist, Goebbels war dagegen Steinzeit.
Hier entsteht gerade ein totaler Ãœberwachungsstaat, der Orwell und Huxley übertreffen wird.

NEWS:
Verfolgen Sie die Aktionen von Michael Moore?

HELNWEIN:
Michael Moore ist eine ganz bedeutende politische Figur. Er setzt ästhetische Mittel ein und er ist ein Meister der Selbst-Vermarktung und er arbeitet mit den gleichen Mitteln wie die offizielle
Propagandamaschinerie, er weiss, wie man die Zensur umgeht. Er kennt alle Tricks.
Sein Film hat bisher über 100 millionen Dollar eingebracht, - und etwas das so viel Kohle macht, kann man hier nicht stoppen.
Seine Sprache und das Niveau seiner Filme ist so schlicht und simpel, dass der Durchschnitts-Amerikaner die Message versteht. Es kann sogar sein, dass der Film wirklich die Wahl beeinflussen wird.
Sean Penn zum Beispiel, hat schon vor einiger Zeit an einem atemberaubenden filmischen Meisterwerk über 9/11 mitgearbeitet, doch von diesem Film weiß keiner etwas, er wurde hier nie gezeigt.
Er war zu anspruchsvoll und er hat es nicht verstanden, die Zensur zu umgehen wie Michael Moore.

NEWS:
Wie sehen Sie die Zukunft Amerikas?

GOTTFRIED HELNWEIN:
Es sieht so aus, wie der Untergang des Abendlandes.
Wie der Zusammenbruch des römischen Reiches, mit allen special effects in Cinemascope und Zeitlupe. Die Regierung hier setzt alles daran, der westlichen Welt den Todesstoss zu versetzen.
Ich finde es gut, so direkt vor Ort zu sein und das alles hautnah mitzubekommen. Hier passiert es und ich bin ganz nah dran.

NEWS:
Erfüllt Sie das manchmal mit Angst?

GOTTFRIED HELNWEIN:
Nicht um mich.
Aber es ist überwältigent zu sehen wie alles zusammenbricht. Es ist wie in den „Letzten Tagen der Menschheit.“ Ich weiß nicht, was Karl Kraus gesagt hätte, wenn man ihn gefragt hätte, ob er Angst hat. Er hat gesehen, dass alle verrückt geworden sind, und dass die Welt aus den Fugen geraten ist. Als Künstler kann man das beobachten, und versuchen es in seiner Arbeit umzusetzen und transparent machen.

NEWS:
Sie sind sehr eng mit Gouverneur Arnold Schwarzenegger befreundet.

GOTTFRIED HELNWEIN:
Arnold ist vielleicht der erstaunlichste und außergewöhnlichste Mensch, den ich in meinem Leben getroffen habe.
Es ist als hätte er sich in der Epoche geirrt, wie ein Halbgott aus der Antike, der aus Versehen im 21 Jahrhundert gelandet ist.
Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so ein Selbstbewusstsein hat, wie Arnold. Das kann man gar nicht beschreiben. Soetwas wie Zweifel kennt er nur vom Hörensagen.
Hier in Californien hat er jedenfalls das Wunder vollbracht, dass die Menschen wieder Vertrauen in die Politik haben.
Mir haben viele gesagt: ich habe immer demokratisch gewählt, aber diesmal hat Arnold meine Stimme bekommen. Er ist eine Ausnahme, er macht das nicht, um berühmt zu werden, das war er vorher schon, und er macht es nicht für’s Geld, davon hat er genug und was kein anderer Politiker je gemacht hat, er verzichtet sogar auf sein Gehalt.

NEWS:
Ihr nächstes Projekt ist das Bühnenbild zum „Rosenkavalier“ in Los Angeles mit Maximilian Schell als Regisseur. Was erwarten Sie sich von dieser Zusammenarbeit?

GOTTFRIED HELNWEIN:
Maximilian Schell ist ein sehr eigenständiger Denker und sehr sperrig. Er hat sich nie angepasst, daher ist er nie ein typischer Hollywood Star geworden, obwohl er schon ganz früh einen Oscar bekommen hat. Er hat zu viel Integrität, um sich vermarkten zu lassen. Wir haben schon mit der Arbeit begonnen, und es ist spannend.

NEWS:
Sie haben Ihr ganzes Leben beschädigte Kinder gemalt und haben selbst vier Kinder. Wie haben Sie Ihre Kinder vor Beschädigungen bewahrt?

HELNWEIN:
Das war wirklich leicht. Man darf nur sein Kind nicht misshandeln, das ist alles. Man muss Kinder von Geburt an als eigenständige Persönlichkeiten respektieren und mit ihnen ehrlich sein. Ich wollte eigentlich zehn oder fünfzehn Kinder haben.
Meine Kinder waren mir immer ein Hochgenuss. In Erinnerung an meine eigene Kindheit, wollte ich aus Revanche Kinder haben, die ein phantastisches Leben haben. Sie hätten nicht einmal in die Schule gehen müssen, wenn sie nicht gewollt hätten. Schule war mir ein Gräuel, daher habe ich meinen Kindern immer wieder vorgeschlagen, einfach der Schule fernzubleiben, und frei zu machen, aber aus unerfindlichen Gründen gingen meine Kinder sehr gern zur Schule

NEWS:
Treten die Kinder in die Fußstapfen des Vaters und sind künstlerisch veranlagt?

GOTTFRIED HELNWEIN:
Amadeus, der Jüngste, ist 17 und verfügt über ein unglaubliches Wissen über Geschichte, Philosophie und Politik, und schreibt Gedichte. Er war auch der Einzige im Kindergarten, der über Hitler Bescheid wusste und über die KZs, was die Kindergärtnerinnen in nicht geringes Entsetzen versetzt hat. Mein Sohn Cyril ist 27 ist Fotograf und arbeitet als mein Assistent, meine Tochter Mercedes ist 24 und veröffentlicht gerade ihren ersten Roman, und stellt ihre Zeichnungen in verschiedenen Galerien aus, mein Sohn Ali ist 22, komponiert und spielt Violine beim California Jugend Philharmonic Orchestra.

NEWS:
Sie sind auch seit bald dreißig Jahren mit Renate verheiratet. Was ist Ihr Rezept für eine glückliche Ehe?

HELNWEIN:
Eine Heilige als Frau und viel Arbeit, und viele Kinder.